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"Jupp" weiß genau: Das Runde muß ins Eckige
Roboter
Das große Fußballspektakel der Moderne
Von Manfred Lindinger

28. Dezember 2005 "Jupp" und "Sepp" vom Freiburger Team "NimbRo" sind die heimlichen Stars des Fußballs. Zwar sieht es recht ungelenk und wacklig aus, wenn die beiden 60 Zentimeter großen Roboter über das 4,5 mal drei Meter große Spielfeld marschieren. Die beiden wissen aber ganz genau: Das Runde muß ins Eckige. Und so kicken "Jupp" und "Sepp" fast immer den Ball ins Tor. Bei der Robocup-Weltmeisterschaft in diesem Jahr in Osaka hatten sie ihren ersten großen internationalen Auftritt, als sie gegen zwei Roboter des Teams Osaka im Endspiel standen. Allerdings hat es nur zu einem zweiten Platz gereicht. "Das Team Osaka hatte einfach die besseren Spieler", sagt Sven Behnke von der Universität Freiburg und Teamchef der NimbRo-Mannschaft, als er sich die entscheidenden Spielszenen des Robocup 2005 nochmals in einem Video ansieht. Tatsächlich wirken die knapp 50 Zentimeter großen japanischen Roboter insgesamt wendiger, ihre Bewegungen eleganter. Der Tormann wirft sich sogar zur Seite, um den Ball zu fangen. "Wir wollen unsere Roboter mit besseren Servomotoren und einer schnelleren Kamera ausstatten, damit sie rascher reagieren", verrät Behnke die Strategie von NimbRo für das kommende große Ereignis im Roboterfußball - den Robocup im Juni 2006 in Bremen.

Die Organisatoren dürfen auf eine rege Teilnahme hoffen. Schließlich sind inzwischen mehrere tausend Wissenschaftler aus 35 Nationen vom Fußballfieber infiziert. 23 Gruppen gibt es allein in Deutschland. Die Roboter werden auf Rädern und auf vier oder zwei Beinen dem Ball nachjagen oder als virtuelle Fußballspieler auf einem ebenso virtuellen Spielfeld kicken. Und das möglichst autonom. Nur die Schiedsrichter werden von Menschen gestellt. Die Spielregeln - für Fouls gibt es gelbe Karten - richten sich weitgehend nach den gültigen Regeln der Fifa.

Intelligenz will einen Körper

Die "FU-Fighters", Fußballweltmeister 2004

Die zweibeinigen Laufroboter werden in Bremen wohl die große Attraktion werden, wenn sie wie in Osaka Fußball spielen, wenn auch nur zwei gegen zwei. Ein Novum seit der Robocup-WM 2005. In der Hansestadt dürfen aber nur Laufmaschinen spielen, deren Körpermaße 60 Zentimeter nicht übersteigen. Für die größeren soll es zumindest ein Demonstrationsspiel geben. "Wir würden gerne mehr als zwei Laufroboter aufs Spielfeld schicken", sagt Sven Behnke. "Dann könnten die Spieler nämlich ihre Kooperationsfähigkeit demonstrieren." "Jupp" und "Sepp" teilen sich in einem Spiel bereits gegenseitig mit, wo sich der Ball auf dem Feld gerade befindet. Bei mehr als zwei Spielern pro Mannschaft passiert es häufiger, daß mehrere Roboter gleichzeitig losstürmen. Ideal wäre es, wenn nur derjenige losläuft, der dem Ball am nächsten steht. Doch Behnkes Vorschlag findet bislang keine Mehrheit bei der Robocup-Federation, die über die geltenden Spielregeln entscheidet.

Und so wird man richtige Mannschaftsspiele weiterhin nur bei den Robotern der anderen Ligen erleben. In der Middle-Size-Liga beispielsweise spielen jeweils vier Spieler auf einem acht mal zwölf Meter großen Feld um einen roten Lederfußball. Diese Liga gilt als Königsklasse, da bei ihr der größte Grad an Autonomie erreicht wird. Die mittelgroßen Roboter, die bis zu achtzig Kilogramm schwer sein dürfen, sich auf Rädern fortbewegen und ein Laptop mit sich tragen, ermitteln selbständig ihre Daten mit eigenen Sensoren und setzen sie unmittelbar in Aktionen um. Dabei stehen sie über Funk mit den anderen Spielern in Kontakt. Das Spiel hat mittlerweile ein beeindruckendes Tempo erreicht, wie es die Spiele der diesjährigen Robocup-WM zeigten, bei der die "FU-Fighters" von der Freien Universität Berlin mit ihren großen Robotern den zweiten Platz belegten.

„FU-Fighters”: Favoriten in der Roboter-Liga

Aibo-Hunde vor dem entscheidenden Kick

Nicht weniger rasant sind die Spiele in der Small-Size-Liga der kleinen Roboter, in der jedes Team vier Feldspieler und einen Torwart stellt. Mit Geschwindigkeiten bis zu drei Meter pro Sekunde rollen die Maschinen über das vier mal fünf Meter große Spielfeld hinter einem Golfball her. Eine Kamera über dem Spielfeld liefert einen Überblick über das Spielgeschehen. Die Roboter erhalten ihre Kommandos über Funk von Computern am Feldrand.

Die "FU-Fighters" gelten auch als Favoriten in dieser Liga. Ihre etwa fünfzehn Zentimeter großen Roboter waren die schnellsten der 24 Teams in Osaka. Als einzige berherrschten sie den Hochschuß. Das brachte ihnen zum zweiten Mal in Folge den Weltmeistertitel ein. Doch für Raul Rojas, Teamchef der FU-Fighters, sind die Fußballspiele in den beiden Ligen weitgehend ausgereizt. Fast jede Mannschaft nutzt mittlerweile die gleichen Sensoren und Antriebe. So will man künftig durch die Vergrößerung der Spielfelder mehr Schwung in die Wettbewerbe bringen. In Bremen soll es für die Middle-Size-Liga ein Spiel auf echtem Rasen geben.

Im Zweikampf

Von zuwenig Dynamik ist in der Liga der Aibo-Roboterhunde von Sony nichts zu spüren. Wenn auf dem sechs mal vier Meter großen Spielfeld acht Vierbeiner aufeinandertreffen, läßt sich erahnen, was in wenigen Jahren von den humanoiden Robotern zu erwarten ist. "Noch vor wenigen Jahren waren wir froh, wenn wir den Ball fanden. Alle Hunde rannten gleichzeitig auf den Ball zu. Beim Kicken verloren sie häufig das Gleichgewicht und fielen um", erzählt Hans-Dieter Burkhard von der Humboldt-Universität. Seine Arbeitsgruppe hat sich mit den Universitäten Bremen und Dortmund sowie der TU Darmstadt zum "German Team" zusammengeschlossen, das in Japan als Titelverteidiger angetreten ist und den Robocup im Elfmeterschießen abermals gewann. Die Aibos beherrschen insgesamt 50 Kickmöglichkeiten. Droht einer bei einem Schuß umzukippen, gleicht er das durch einen Ausfallschritt aus. Mit einem Tempo von etwa fünfzig Zentimeter pro Sekunde waren die Aibos des "German Team" bei der diesjährigen WM die Schnellsten in ihrer Klasse. Sie konnten sogar im Laufen ihre Richtung ändern.

Roboterfußball begann vor fast 15 Jahren

Die längste Tradition beim Robocup hat die Simulationsliga, bei der die Fußballspiele ausschließlich im Computer stattfinden. Jede Mannschaft besteht aus elf autonomen Spielerprogrammen, sogenannten Agenten, die auf dem virtuellen Spielfeld kicken. Hier scheinen die Kinderkrankheiten so gut wie überwunden. Doppelpässe sind bereits gang und gäbe. Seit 2004 wird in drei Dimensionen gekickt. Auch die Schwerkraft wird in den Simulationen berücksichtigt, so daß man dreidimensionale Flugbahnen berechnen kann.

"Toni" vor, noch ein Tor! Ein humanoider Fußball-Roboter in Aktion

Auf die Idee, Robotern das Fußballspielen beizubringen, kamen die Forscher vor fast fünfzehn Jahren. Man hatte erkannt, daß Intelligenz einen leistungsfähigen Körper benötigt. Will ein System lernfähig sein, so muß es mit der Umwelt interagieren können. Das Fußballspiel erwies sich für die Forschung der Künstlichen Intelligenz (KI) als besonders geeignet. Es ist schnell, erfordert einen hohen Grad an Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit und genießt natürlich eine große Popularität. Jährlich strömen Tausende von Fans zu den Roboterspielen. Doch kein Ziel ohne Vision: Bis zum Jahr 2050 sollen menschenähnliche Roboter nach den gültigen Fifa-Regeln gegen Menschen um die Fußballweltmeisterschaft spielen.

Maschinen gegen Menschen

Ob das zu schaffen ist? "Die heutigen Roboter sind so weit entwickelt wie die Computer vor 50 Jahren", sagt Sven Behnke, der das Ziel zumindest für eine interessante Vision hält. Jedes Jahr werden die Roboter in allen Ligen besser. Bis 2050 wird es eine Menge technischer Entwicklungen geben, von denen andere Bereiche profitieren werden. Schließlich spielen Roboter nicht nur Fußball.

Zwei Programmierer und ihe Spieler

Raul Rojas ist dagegen skeptisch. Seiner Ansicht nach werden bis 2050 nicht alle Schwierigkeiten gelöst sein. "Roboter werden bis dahin vielleicht wie Menschen aussehen, sich weich und elastisch anfühlen, damit sie beim Spiel niemanden verletzen. Dank künstlicher Muskeln werden sie vielleicht auch einen Sprint hinlegen können." Woher die Automaten die Energie für ein bis zu 90 Minuten dauerndes Spiel beziehen sollen, ist jedoch noch völlig offen. Gegenwärtig werden die Roboter mit gewöhnlichen Akkus gespeist, die sie im Mittel zwanzig Minuten lang mit Strom versorgen können. Für Hans-Dieter Burkhard stellen sich prinzipielle Fragen: "Dürfen wir nur Roboter bauen, die wie Menschen funktionieren. Oder dürfen sie mehr können, etwa dadurch, daß sie rundum sehen können?" Dadurch könnten Roboter ihre Defizite ausgleichen.

Technische Fortschritte werden kompensiert, indem man regelmäßig neue Hürden aufbaut. So hat man mittlerweile die Spielbande in allen Ligen entfernt, die lange Zeit bei der Orientierung der Spieler half. Inzwischen bestimmen alle Roboter ihre Position zuverlässig anhand der Linien und anderer Markierungen auf dem Spielfeld. In Bremen werden die Spielflächen vergrößert, die Dauer der Spiele wird verlängert. In naher Zukunft wird angepeilt, den bisher orangefarbenen Fußball durch einen schwarzweiß gemusterten Ball zu ersetzen. In einem indes werden die Maschinen nicht konkurrieren können: Sie besitzen keine Emotionen, die Torinstinkte und Kraftreserven wecken, mit denen ein verloren geglaubtes Spiel doch noch gewonnen werden kann.


Text: F.A.Z., 28.12.2005, Nr. 302 / Seite N1
Bildmaterial: F.A.Z. Helmut Fricke, FU Berlin, Humbold-Universität Berlin, picture-alliance / dpa/dpaweb, picture-alliance/ dpa/dpaweb, picture-alliance / dpa